Vier Schauspieler spielen die Figur des Soldaten © APA/ROLAND SCHLAGER
Ein junger Mann ohne Perspektive wird von nationalistischer Propaganda aufgesogen, begeht Verbrechen gegen die Menschlichkeit, erlebt einen schweren Rückschlag und erkennt seine Fehler. Was wie ein Kompendium zeitgenössischen Filmmaterials klingt, ist die kurze Inhaltsangabe von Ödön von Horváths 1938 posthum erschienenem Roman „Ein Kind unserer Zeit“, den Regisseurin Stephanie Mohr nun mit großer Eindringlichkeit am Theater in der Josefstadt inszeniert hat. Horvaths innerer Monolog eines jungen Soldaten, der nach langer Arbeitslosigkeit glaubt, seine Erfüllung im organisierten Verbrechen zu finden, gilt angesichts des kurz nach dem Buch ausbrechenden Zweiten Weltkriegs als bedrohlicher Visionär. veröffentlicht. Nicht nur angesichts des russischen Angriffskriegs, der seit Februar dieses Jahres in der Ukraine tobt, kommt es sehr aktuell, dass der Ich-Erzähler hektisch an dem Angriff auf ein kleines, namenloses Land teilnimmt. More, der in diesem Frühjahr auch Tales from the Vienna Woods in Leeds inszenierte, verfolgt einen kohärenten Ansatz, indem er die Rolle auf vier Schauspieler aufteilt und so Distanz schafft, während er die Komplexität des Charakters des Soldaten anerkennt. Aufgrund eines Unfalls im Ensemble wurde die Premiere, die eigentlich im Juni stattfinden sollte, nun verschoben. Mit Therese Affolter, Susa Meyer, Martina Stilp und Katharina Klar stehen vier Frauen auf der Bühne, die in vier verschiedenen Jahrzehnten geboren wurden. Dadurch entsteht nicht nur ein Bild der Zeitlosigkeit der Figur, sondern lässt auch die verschiedenen Reflexionsebenen des Protagonisten hervortreten. Die Darsteller, die ebenfalls mit grauem offenem Hut (Bühne: Miriam Busch) durch den 160-minütigen Abend laufen, übernehmen auch reibungslos alle Nebenrollen, von der Witwe des Kapitäns, der Selbstmord begangen hat, bis zum Vater, der sich umgebracht hat war geprägt vom Ersten Weltkrieg in dem Mädchen, in das sich der Soldat verliebt, bevor er in die Schlacht zieht. Dort, wo er im Militärkollektiv die nicht vorhandene familiäre Sicherheit zu finden glaubt, schlachtet er unbehelligt die Zivilbevölkerung ab, bis er sich beim Versuch, den desillusionierten Hauptmann vor dem Selbstmord zu retten, so schwer verletzt, dass er den Militärdienst aufgeben muss . . Zurück in Wien gelingt es ihm nicht, außerhalb des Militärlebens Fuß zu fassen, und er fällt in die Perspektivlosigkeit der Vorkriegszeit zurück. Die Erkenntnis, dass die von seinem Volk begangenen Verbrechen falsch waren, kommt zunächst langsam und gipfelt in einem Akt der Verzweiflung, als er erfährt, dass seine Geliebte wegen ihrer Schwangerschaft gefeuert und wegen der anschließenden Abtreibung ins Gefängnis geworfen wurde. Mohr teilte den Text, der als Kommentar zwischen einer handlungsorientierten Ich-Perspektive und einer reflektierten Außensicht daherkommt, auf die vier Akteure auf und entkoppelte ihn so von den einzelnen Ereignissen. Sie tragen Militärkleidung (wenn auch manchmal nur weite Militärunterhosen), die der immer wieder kritisierten Genauigkeit nie gerecht werden. Während Katharina Klar in der Phase von Sturm und Antrieb des jungen Soldaten ihre stärksten Momente entfaltet, steht sie Martina Stilp mit großer Ruhe gegenüber, während Susa Meyer so etwas wie Mutterschaft ausstrahlt und Therese Affolter mit starker emotionaler Kälte glänzt. Krieg, das macht dieser kraftvolle Nachmittag deutlich, bringt auf allen Seiten nur Verlierer hervor, Nationalismus wird hohl, wo kollektive Verluste schonungslos offengelegt werden. Hier wird nicht von einer Person erzählt, sondern von einer ganzen Generation, die mit der Zeit heranwächst. Die Vorzeichen mögen sich inzwischen geändert haben, aber das Ergebnis von Krieg und Gewalt bleibt das gleiche. Lang anhaltender Applaus. Ein Kind unserer Zeit von Ödön von Horváth, Uraufführung. Dramatisierung und Regie von Stephanie Mohr. Mit Therese Affolter, Susa Meyer, Martina Stilp und Katharina Klar. Bühnenbilder und Kostüme: Miriam Busch. Weitere Termine im Theater in der Josefstadt: 7., 19. und 20. September, 17. bis 19. Oktober sowie 14. und 15. November. Infos und Tickets unter (01) 42700-300 oder auf josefstadt.org